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Training bis zum letzten Tag
Werner Kieser (1940-2021)

Ein Nachruf von Tania Schneider

Werner Kieser ist tot. Der „Mies van der Rohe der Fitness“ und Gründer von Kieser Training verstarb am 19. Mai 1921 im Alter von 80 Jahren im Beisein seiner Frau an Herzversagen. Die Welt hinterlässt er ein Stückchen stärker.

Es ist das Jahr 2016. Ich war mit Werner Kieser zu einem Interview verabredet. Er öffnete die dunkelbraune Holztür seiner Züricher Wohnung. Zwei Kraftpakete mit schwarzglänzendem Fell zwängten sich durch seine Beine für eine fröhlich wilde Begrüßung. Chule und Volta, ein Mischlingsrüde und eine Rottweilerhündin. Kieser schickte sie entschieden, aber lachend weg. Seine blauen Augen blitzten neugierig und freundlich durch die runde Le-Corbusier-Hornbrille. Die weißen Stoppelhaare wie immer millimeterkurz gestutzt, akkurat, so wie der Dreitagebart. Er trug sein altes T-Shirt mit der Aufschrift: „Everlast“, dazu bollerige Hosen. Barfuß wie so oft. Eitelkeit war nicht seine Sache. Ihn interessierten Kraftprobleme und deren Lösungen. Seine Umarmungen waren wie eine Kollision: Als würde man abprallen von so viel Muskelmasse.


„Kraft bedeutet Leben“
Es ist unmöglich über Werner Kieser zu sprechen, ohne über Kraft zu sprechen. Sein Verdienst: Der Schweizer Fitnesspionier hat Krafttraining in den letzten 50 Jahren in Europa gesellschaftsfähig gemacht. Und vielen Menschen damit Rücken- und Nackenschmerzen genommen. Als Kieser 1966 sein erstes Studio in Zürich eröffnete, gab es den Begriff "Krafttraining" noch gar nicht. Gewichte stemmen mit Hanteln diente damals dem Bodybuilding und rein optischen Zwecken. Kieser war einer der ersten, der erkannte, welchen enormen Nutzen Krafttraining für Gesundheit und Leistungsfähigkeit hat. Trotz Widerstand auch aus Fachkreisen hielt er an dieser Erkenntnis fest, forschte, verifizierte, betrieb Aufklärung. Heute ist gesundheitsorientiertes Krafttraining wissenschaftlich anerkannt.
 
Ursprünglich wollte Kieser in die Fußstapfen des Vaters und Großvaters treten – beide Schreinermeister. Er absolvierte eine Schreinerlehre, doch 1957 lenkte ein Zufall sein Leben in eine andere Richtung: Der damals 17-jährige Amateurboxer zog sich beim Sparring eine Rippenfellquetschung zu. Statt auf Arzt und Trainer zu hören und eine Trainingspause einzulegen, folgte Kieser dem Rat eines spanischen Profiboxers, der behauptete, Krafttraining beschleunige den Heilungsprozess. Mit Erfolg: Nach drei Wochen war der Schmerz weg. „Und ich spürte eine Kraft, wie ich sie nie zuvor empfunden hatte.“


„Der Mensch wächst am Widerstand“
Fasziniert von dieser Entdeckung, forschte Kieser nach Anleitungen und Untersuchungen fürs Training mit Gewichten, stöberte in Bibliotheken und Antiquariaten. Dem damaligen Schweizer Nationaltrainer der Gewichtheber, Werner Hersberger, erklärte er, er wolle die Welt kräftigen, weil er glaube, damit eine Menge Probleme lösen zu können. Hersberger gab dem damals 22-Jährigen einen Stapel amerikanischer Kraftsport-Zeitschriften und den Rat: „Wenn du Krafttraining verbreiten willst, gib selbst die Richtung vor. Und lass dich nie davon abbringen, wenn du etwas als richtig erkannt hast.“ Kieser trieb seine Idee bis zuletzt voran – fokussiert und gegen alle Widerstände. Mit Erfolg: Heute prangt sein Name auf mehr als 160 Studios in 5 Ländern.
 
1963 besuchte Kieser die beiden ersten Sportstudios in Deutschland: das Studio von Poldi Merc in Berlin und das Studio von Peter Gottlob in Stuttgart. So gewann er eine Vorstellung davon, wie seine Zukunft aussehen sollte. Geld hatte er keines. Geld? Zum Trainieren braucht man vor allem Eisen, dachte er sich. Das fand er auf dem Schrottplatz. Für 40 Rappen das Kilogramm. Viele schöne, runde Scheiben, aus denen er Hanteln schweißte. In Zürich fand er Räume in einem Abrissgebäude. Die Ausstattung: Ein roher Holzboden, eine zum Duschraum verwandelte Waschküche, Trinkwasser vom Hahn. Und Bänke, einfache Zugapparate - sowie einige Tonnen Hanteln. So eröffnete Kieser 1966 sein erstes Studio in Zürich in der Nordstraße.


„Das ist meine Sache, das kann ich“
Ein Jahr später gab Werner Kieser seinem „Gebilde aus Schrott und Hoffnungen“ eine „juristisch stringente Form“ und gründete die Kieser Training AG. Er amüsierte sich immer, wenn er erzählte, dass er diesem „Kind“ eigentlich einen großartigen Namen geben wollte, der an den Weltraum erinnern sollte. „Galaxy-Studio“, „Orion“ oder Ähnliches. Stattdessen fragte Kieser den ersten Kunden, der ein Jahresabo bei ihm kaufte nach einer Idee für einen Namen. „Wenn Sie wirklich hinter Ihrer Sache stehen, nehmen Sie Ihren eigenen Namen“, sagte der. Werner Kieser erzählte, er habe sofort gewusst: „Das ist meine Sache, das kann ich.“
 
Als Anfang der 1970er-Jahre mit der Fitnesswelle die „besser“ ausgerüstete Konkurrenz nach Europa kam, dachte Kieser, er müsse mithalten und erweiterte sein Angebot um Sauna, Solarium und Bar. „Je breiter mein Angebot wurde, desto weniger trainierten meine Kunden. Die Leute lagen nur noch herum, fanden alles toll, nur trainiert haben sie nicht.“ Als begeisterter Bauhaus-Anhänger begann Kieser mit der Reduktion auf den Kern – schmiss Sauna, Solarium und Bar wieder raus und strich die Wände weiß. Nichts sollte künftig die Konzentration aufs Wesentliche mehr stören: Training und Muskelaufbau. Kieser etablierte seine Methode: 2 x 30 Minuten Training pro Woche.


„Der Mann hatte mir 20 Jahre voraus“
In der amerikanischen Zeitschrift „Iron Man“ las Kieser einen Artikel von Arthur Jones, dem amerikanischen Pionier des Krafttrainings, Gründer von Nautilus, der 1972 die erste Maschine mit variablem Widerstand auf den Markt gebracht hatte und die erstmals ein isoliertes Training des großen Rückenmuskels ermöglichte. Jones beschrieb in dem Artikel die technologisch bedingten Mängel des Hanteltrainings und die Vorzüge seiner „Pullover“-Maschine. Kieser war klar: Er muss diese Maschinen haben. Da ihm das Geld fehlte, konstruierte er einfach eigene.
 
Doch dann reiste er in die USA, um sich mit eigenen Augen von der Qualität der damals revolutionären Nautilus-Maschinen zu überzeugen. Dort lernte er Arthur Jones kennen, der zu seinem wichtigsten Mentor werden sollte. Kieser war begeistert: „Ich werde eine Kette von Studios aufziehen, ausschließlich für hochintensives Training an Maschinen. Keine Sauna, keine Saftbar, kein gar nichts. Nur Training, hartes Training." Zurück in Zürich war keine Bank bereit, Kiesers Projekt zu finanzieren. So lieh er sich das Geld bei Eltern, Freunden und Kunden. Seine betriebswirtschaftlich geschulten Freunde prophezeiten ihm den Konkurs. Er lachte, wenn er in seinen Vorträgen über die Firmengeschichte verschmitzt erzählte: „Die Maschinen kamen, der Konkurs nicht.“ 1978 war Kieser der erste in Europa, der in seinem Studio Nautilus-Geräte einsetzt. 1980 wurde er Generalimporteur für Nautilus in Europa.


„Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz“
Eines Nachts erhielt Werner Kieser um 2:00 Uhr europäischer Zeit einen Anruf: Es ist Jones, der sagte: „Werner, wir haben das Rückenproblem gelöst. Komm vorbei.“ „Fein, Arthur. Aber ich habe kein Rückenproblem“, entgegnete der. „Du nicht, aber Millionen von Menschen gehen fast drauf deswegen.“ Kieser flog nach Florida, testete die Maschine - und war sofort überzeugt. Am nächsten Morgen bestellte er gleich fünf „Lumbar-Extension-Maschinen“, mit denen seine Frau, die 19 Jahre jüngere Ärztin Dr. med. Gabriela Kieser die erste europäische Praxis für Kräftigungstherapie in Zürich eröffnete.
 
Gegen Rückenschmerzen kamen hier keine Pillen und keine Spritzen zum Einsatz, sondern ausschließlich Jones Rückenmaschine – mit spektakulärem Erfolg: Patienten fanden mit dem Training an der Maschine nach jahrelanger Odyssee zur Schmerzfreiheit. Werner und Gabi Kieser etablierten die Medizinische Kräftigungstherapie und machten sie zum festen Bestandteil des Kieser-Konzeptes. Im gleichen Jahr wagten sie mit einem ersten Pilotbetrieb den Schritt nach Deutschland. Danach folgte die Expansion in weitere Länder, die Gründung einer eigenen Ausbildungsstelle, Forschungsabteilung und Maschinenentwicklung.


„Beschränkung der Mittel ergibt Stil“
Muskelpapst? Kraftapostel? Hohepriester der Kraft? Von solchen quasi-religiösen Betitelungen hielt Kieser nichts. „Was für ein Quatsch“, pflegte er in Gesprächen zu sagen. „Muskelguru?“ Nein. Auch das Esoterische war ihm fremd. „Ich bin bekehrungsresistenter Atheist und eliminativer Materialist. Punkt.“ Kieser war vor allem eins: Unverblümt. Er liebte den intellektuellen Diskurs. Seine Einstellungen haute er gern in markigen Sprüchen raus, die aber nur ganz selten unbedacht waren. Er agierte verbal wie ein Boxer beim Sparring und liebte den begründeten Widerspruch. Er war interessiert an Meinungen und forderte sie heraus. Den Dialog sah er als permanente Form des Lernens und Führens: „Wer seinen Mitarbeitern nichts zu vermitteln hat, sollte keine Führungsposition haben.“
 
Beim Reden schlug Werner Kieser mit der flachen Hand auf den Tisch. Starke Hände, die es gewohnt waren, anzupacken - und die doch gepflegt waren. In seiner kleinen Werkstatt im Keller der Zürcher Wohnung schreinerte er. Er mochte das Haptische und Materialien, auf denen sich die Spuren der Vergänglichkeit ablesen lassen. Die Architektur seiner zweigeschossigen Stadtwohnung ist minimalistisch und so kantig und so unverblümt wie er selbst es war. Der Boden aus Schiefer, die Wände aus rohem Sichtbeton. Daran wenige Bilder. Nippes? Zimmerpflanzen? Fehlanzeige. „Mir sind die Pflanzen draußen lieber“, sagte er stets. Kieser liebte die Natur, die Berge – am liebsten war er mit seiner Frau im Ferienhaus in Lü. Und er liebte Tiere, vor allem seine Hunde. Chule, den Mischlingsrüden hatte er aus einem Tierheim befreit. Und der Tod der Rottweiler Hündin Volta hatte ihn im letzten Jahr sehr mitgenommen.
 
Wenn Werner Kieser etwas wissen wollte, las und hakte er nach. Er war Autodidakt. Anglizismen, Expertentum und Manager-Getue waren ihm verhasst. „Mich interessiert der Stoff, nicht der Professor.“ Aufgewachsen in einem – wie er sagte „religiösen, kleinbürgerlichen und bildungsfernen Elternhaus“ – suchte Kieser früh eine andere geistige, intellektuelle Welt. „Mit 18 hatte ich das Glück einen Mentor zu finden, der mir philosophische Werke gab.“ Es war der 50 Jahre ältere Kunstmaler Hans Hürlimann, dem Kieser seine Liebe zur Philosophie verdankte. „Er gab mir zuerst Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit, dann Max Stirner mit den Worten: ‘Das ist ein Nihilist. Wenn du den verstanden hast, weißt du, wo’s langgeht. Wenn nicht: Jag dir eine Kugel in den Kopf.‘“


„Kraft ist nicht alles, aber ohne Kraft ist alles nichts“
frei nach Schopenhauer
Die Liebe zur Philosophie hat Kieser nie verlassen. Mit 70 schloss er ein Master-Studium der Philosophie an der Open University in Großbritannien ab: „Ich bin der Droge des Denkens verfallen.“ Zum Studieren saß er – oft nachts – in seinem „Studiolo“, einem etwa zwölf Quadratmeter großen Raum mit einem riesigen Tisch und selbstgeschreinerten, deckenhohen Holzregalen. Darin ein geordnetes Chaos in zwei Reihen: Bücher über Philosophie, Photographie, Architektur, Design und Kunst. Und natürlich alles, was er über Muskulatur und Krafttraining in die Finger bekommen konnte. Insgesamt fasst seine Bibliothek geschätzte 2.000 Werke. Ein Teil seiner Bücher parkte er in der Garage neben seinem alten Volvo. Einen anderen Teil brachte er ins Antiquariat, weil seine Frau aufgrund der überhandnehmenden Bücherzahl streikte. Als er im gleichen Antiquariat heimlich ein neues Buch kaufen wollte, fand er auf der ersten Seite seinen Namen mit Bleistift. „Ist das nicht köstlich?“
 
Autodidakt war Kieser auch im Musizieren. Nicht nur das Spielen des „Handörgeli“ – einer Schweizer Variante eines Akkordeons – brachte er sich selbst bei. Auch das Spielen auf einer Pedal Steel Guitar. Er setzte sich vor die Hawaiigitarre, spielte ein paar Takte und sang. „Es klingt schon fast schön“, sagte er und lacht sein verschmitztes lachen. „Die Hunde mögen es.“ Seitdem er und seine Frau das Unternehmen und Lebenswerk 2017 verkauft und in jüngere Hände gegeben hatten, blieb viel Zeit für Neues.


„Aufgeben ist unanständig“
Die letzten 50 Jahre beschrieb Kieser als Versuch und Irrtum. „Viele Entscheidungen stellen sich erst später als richtig heraus und umgekehrt. Ich mache laufend Fehler. Es sind primär Zufälle, die das Leben bestimmen.“ Oder Sturheit, wie seine Frau Gabi retournierte. „Ja, man sagt mir eine gewisse Sturheit nach“, flüsterte er verschwörerisch. Von der Idee, dass er tüchtig sei, war er abgekommen: „Ich hatte viele tolle Mentoren, Mitarbeiter und Geschäftspartner. Denen bin ich dankbar. Und manchmal hatte ich auch einfach Glück.“
 
Das Geschäft war für ihn nie Selbstzweck, sondern immer Mittel zum Zweck. Es ging ihm stets um die Idee: Die Idee, die Welt ein bisschen stärker und das Leben so ein bisschen leichter zu machen. „Ich habe meine Sache so gut gemacht, wie ich konnte. Ich hadere nicht mit der Vergangenheit und fürchte mich nicht vor der Zukunft. Real ist nur die Gegenwart. Wenn ich morgen sterbe, kann ich sagen: Ich hatte ein gutes Leben.“
 
Es wundert nicht, dass Werner Kieser bis zum Tag seines Todes trainierte. „Alter ist kein Grund für Schwäche“ – das war nicht nur einer seiner markigen Sprüche, sondern zeugt von seiner Einsicht in die Notwendigkeit des Krafttrainings. Er wolle trainieren, bis der Tod ihm die Hantel aus der Hand nehme, sagte er vor kurzem in einem Interview.
 
Mit Werner Kieser ist ein charismatischer Pionier und kantiger Denker von uns gegangen, der sich nicht hat beirren lassen und der die Fitnessbranche geprägt hat, wie kein anderer. Mir persönlich war er ein weiser Mentor und lieber Freund.
 
Ich vermisse dich.